So, wie Du uns haben willst

Notizatlas

„Ich reiß’ mir eine Wimper aus und stech’ dich damit tot.“ Auch wenn klar ist, dass einem eine Wimper so leicht nichts anhaben kann, so werden in diesem Satz doch zumindest zwei Momente der Gewalt angesprochen: Einerseits ein Akt der Selbstverletzung, andererseits das Begehren, jemand anderen etwas anzuhaben. Auch Wörter können wehtun und Sprache kann Herrschaft begründen. Diesem Gedanken folgend, hat Iris Christine Aue seit geraumer Zeit eine umfassende Sammlung aus Zitaten, Gedächtnisprotokollen, Songtexten und anderen sprachlichen Fundstücken erstellt, aus denen sich ihre künstlerische Praxis maßgeblich speist. So wie der Titan Atlas der griechischen Sage nach das Himmelsgewölbe trägt und der Halswirbel Atlas die Last des menschlichen Schädels, vermisst Aues Wandinstallation namens „Notizatlas“ (2016) mit Farb-, Bleistift und Aquarellfarben das Gewicht der Welt: Auf einer Unzahl kleinformatiger Büttenpapierstücke (6 x 9 cm bzw. 9 x 12 cm) wird in Form von Textfragmenten ausgelotet, wie schwer Sprache wiegen kann und zeichnerisch zugleich eine Bildsprache entworfen, die den Blick eindringlich auf subtile Momente der Macht lenkt: Feingliedrige Linien skizzieren in nicht negierbarer Klarheit Szenarien und Körperbilder des (Ver-)Drängens, Ziehen und Zerrens, Stechen und Verlassen-Seins. Nähe und Distanz, Zuviel und Zuwenig von menschlichem Miteinander montiert die Künstlerin hier in Wort und Bild mit Stahlnägeln auf sattblauem Hintergrund, in die Ecke des Raumes verwiesen, die Betrachtenden sachte umfangend.

Textauszug von Antonia Rahofer,
Oktober 2016 zur Ausstellung „ausgezeichnet. Klemens-Brosch-PreisträgerInnen“ in der Oö. Landesgalerie in Linz

Legende:

Bleistift, Farbstift und Aquarell auf Papier
6 x 9 cm bzw. 9 x 12 cm
Anzahl variabel
work in progress, Stand Oktober 2016

de_AT